"Fall der Nathalie B."

Luise von Finckh als Entführungsopfer in "Ohne jede Spur - Der Fall der Nathalie B.": "Mein Körper fing plötzlich an zu zittern"

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von teleschau
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Beim Dreh zu "Ohne jede Spur - Der Fall der Nathalie B." musste sich Luise von Finckh voll auf ihre Rolle einlassen - ein mentaler Kraftakt.

Bild: ARD Degeto/ORF/Zeitsprung Pictur


True Crime - ja, bitte. Aber mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl und dem richtigen Fokus: Schauspielerin Luise von Finckh spricht im Interview mit der teleschau über die besondere emotionale Herausforderung der Hauptrolle im ARD-Thriller "Ohne jede Spur - Der Fall der Nathalie B."


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Die Schauspielerin Luise von Finckh verkörpert im True-Crime-Thriller "Ohne jede Spur - Der Fall der Nathalie B." eine Frau, die bei einer Rennrad-Tour am 23. Juli 2019 entführt wird. Mit leichten Abwandlungen erzählt der Film vom Martyrium, das die Triathletin erleben muss. Dank ihres Einfallsreichtums und ihrer Empathie schafft Nathalie es, sich zu retten und zu ihrer Familie zurückzukehren.

Was Hauptdarstellerin Luise von Finckh und dem ganzen Produktionsteam wichtig war: Sie wollen die Geschichte einer Heldin erzählen und nicht den Täter in den Mittelpunkt rücken. Im Interview berichtet die Schauspielerin von der intensiven Erfahrung, Nathalie B. vor der Kamera zu verkörpern. Die 31-Jährige erklärt, wie wichtig Intimitätskoordination am Set ist, und verrät, warum sie beim Dreh einmal sogar in Tränen ausgebrochen ist.

"Täter nicht romantisieren - sondern den Betroffenen die Macht geben"

Im Film "Ohne jede Spur, der Fall der Nathalie B." spielen Sie die Hauptrolle: eine junge Sportlerin, die entführt wird. Die Geschichte erzählt einen realen Fall nach. Sind Sie ein Fan von True Crime?

Luise von Finckh: Ja, ich höre sehr gerne den ZEIT-Podcast "Verbrechen" und habe als Kind auch extrem viel in die Richtung geschaut, Sendungen wie "Aktenzeichen XY ... ungelöst". Wichtig ist immer der Umgang, den man als fiktionaler Erzähler mit diesen realen Fällen findet. Das hat mir bei "Ohne jede Spur" sehr gefallen: dass man eben nicht den Täter romantisiert und in den Mittelpunkt stellt, sondern die entführte Frau. Man gibt damit dem Opfer Macht. Es ist uns gelungen, dass wir die Geschichte einer Heldin erzählen. Die Regisseurin Esther Rauch, das ganze Team, alle haben bewusst darauf geachtet, dass in der Bildsprache des Films immer Nathalie im Fokus steht und der Täter eher als Objekt erzählt wird. Das Publikum bleibt bei ihr, weil hier eben nicht das faszinierende "Monster" inszeniert wird.

Wie sind Sie mit dem Fall von Nathalie in Kontakt gekommen?

Luise von Finckh: Ich hatte vor dem Casting noch nichts gehört von der Geschichte. Als ich dann mehr von dem Projekt erfahren habe, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich habe das Drehbuch gelesen, und es war klar: "Okay, ich will das unbedingt machen."

Die Rolle der schwer misshandelten Nathalie B. ist keine einfache Rolle. Wie geht man als Schauspielerin am Set damit um?

Luise von Finckh: In diesem Fall hatten wir eine Intimacy-Koordinatorin, Cornelia Dworak, die ganz tolle Arbeit geleistet hat. Sie hat sich mit uns morgens und abends eingecheckt und ausgecheckt, darauf geachtet, dass wir eine Trennung zwischen Film und Privatleben herbeiführen. Das war mir in dem Fall auch ganz wichtig. Zum Beispiel, wenn ich das Kostüm morgens angezogen habe, habe ich "Guten Morgen, Nathalie" und abends "Guten Abend, Nathalie" gesagt, um mich bewusst aus der Rolle herauszuholen. Es gibt also kleine Tricks, die helfen.

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Intimacy Koordination ist am Set "wichtig und richtig"

Wie würden Sie als Schauspielerin die Arbeit mit einer Intimacy-Koordinatorin beschreiben?

Luise von Finckh: Eine Intimacy-Koordinatorin oder ein Intimacy-Koordinator funktioniert an der Schnittstelle zwischen Regie und den Schauspielenden wie ein Puffer. Vor allem in Szenen, die Gewalt beinhalten oder Nacktheit oder Sexualität. In solchen Drehsituationen kam es nun mal schon oft zu Machtmissbrauch in der Branche. Wenn man solche Szenen mit Formen von Gewalt oder Leidenschaft hat, dann verwischen oft die Grenzen zwischen der privaten und beruflichen Welt. Konkret: Wenn man jemanden küsst in einem Film, dann ist das natürlich nur gespielt. Aber letztendlich küsst man diesen Menschen auf körperlicher Ebene wirklich.

Und wo genau setzt die Intimacy-Koordinatorin an?

Luise von Finckh: Ich würde sagen, dass eine Intimacy-Koordinatorin anfängt, in dieser verschwommenen Zone klarere Grenzen zu ziehen und dafür zu sorgen, dass die eingehalten werden. Es ist als schauspielende Person am Set schwieriger, "Nein" zu sagen, wenn es heißt: "Wäre es nicht möglich, dass ihr euch da noch mal etwas mehr anfasst." Die Intimacy Koordinatorin schaut hin, sie prüft, ob das wirklich in Ordnung ist, und dass keine Grenzen überschritten werden.

Wie eine Art Vermittlung, die die verschiedenen Ansprüche und Grenzen der Schauspielenden und der Regie moderiert.

Luise von Finckh: Genau, wir haben im Vorfeld alle Szenen durchgesprochen, wo wir berührt werden wollen und wo nicht. Damit war das wie eine Art Choreografie, auf die man sich verlassen kann. Das gibt einem natürlich ein bisschen mehr Kontrolle zurück, über das, was passiert. Man entwickelt Vertrauen, was ungemein wichtig ist für solche intensiven Szenen, wie wir sie diesmal gedreht haben.

Hätten Sie Beispiel?

Luise von Finckh: Ja, eine Szene, in der der Entführer Nathalie gewaltvoll dazu bringt, eine Flasche Rotwein zu trinken. Das war so eine Situation, die hatten wir auch vorher mehrfach geprobt. Cornelia meinte nach dem Dreh: "Hey, wir machen jetzt mal eine Pause!" Dann habe ich automatisch gesagt: "Nein, ich brauche keine Pause, wir machen weiter." Aber Cornelia hat auf die Pause bestanden und hat mich kurz rausgenommen.

Sie hätten gerne weitergemacht?

Luise von Finckh: Ja, weil ich total im Tunnel war. Aber draußen hat mein Körper dann plötzlich angefangen zu zittern, und ich habe angefangen zu weinen. Ich hatte zuvor in den Fight-or-Flight-Modus geschaltet, ohne das wirklich selber zu merken. Ich habe einfach funktioniert, ohne zu verstehen, was gerade passiert.

Es wird aktuell viel debattiert in der amerikanischen Filmbranche, aber auch in Deutschland, ob Intimacy-Koordinatorinnen und -Koordinatoren bei Filmen, die Szenen mit Sex, sexualisierter Gewalt und Grenzüberschreitungen beinhalten, verpflichtend mit am Set sein sollten ...

Luise von Finckh: Ich fände es grundsätzlich wichtig und richtig. In den meisten Fällen hat man bei einem Film nur eine kurze Phase zur Vorbereitung mit seinen Schauspielkolleginnen und -kollegen und der Regie, und oft kennt man sich dann nicht besonders gut. Da ist es sehr sinnvoll, dass da eine Vertrauensperson ist, die darauf achtet, dass alles sauber kommuniziert ist. Natürlich kann man sich mit seinem Spielpartner oder der Regie immer noch mal individuell absprechen, wie eng man die Grenzen zieht.

"Mich interessiert es, mit Frauen-Klischees zu brechen"

Sie machen sich im Film- und Kunstkontext stark für mehr weibliche Stimmen und Perspektiven in der Öffentlichkeit. Sehen Sie die Darstellung von Nathalies Geschichte in "Ohne jede Spur" als Schritt in die richtige Richtung?

Luise von Finckh: Ja, auf jeden Fall. Weil ganz häufig in solchen Produktionen die Täter als Mittelpunkt des Geschehens inszeniert werden. Aber auch in amerikanischen Produktionen, wenn man zum Beispiel an die Darstellungen des Serienmörders Jeffrey Dahmer denkt, oder über die Serie "Adolescence" spricht, wo ein im Internet radikalisierter Junge ein Mädchen umbringt. Dort stehen die Täter und Verbrecher und ihre Beweggründe im Fokus, und die Opfer, oftmals Frauen, sind nur Mittel zum Zweck der Erzählung. Die Inszenierung von Nathalie ist unser ganz deutliches Gegenbeispiel, eben weil das Opfer zu einer Heldin gemacht wird, die sie ist, denn das sind alle, die so etwas überleben. Trotzdem ist der Film unglaublich spannend und nicht ein Fünkchen weniger interessant.

Sie spielen oft komplexe Frauenrollen. Kommen diese Rollen auf Sie zu, oder machen Sie sich aktiv auf die Suche danach?

Luise von Finckh: Ich glaube, das eine bedingt das andere. Diese Rollen sind das, was mich interessiert. Mich interessiert es, mit Frauen-Klischees zu brechen.


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