"Mord auf Ex"-Hosts auf Spurensuche
Unschuldig im Knast? Diese True-Crime-Expertinnen rollen den Fall Andreas Darsow neu auf
Aktualisiert:
von Claudia FrickelLebenslang sitzt Andreas Darsow in Haft, weil er seine Nachbarn kaltblütig ermordet haben soll. Die True-Crime-Podcasterinnen Linn Schütze und Leonie Bartsch beschäftigen sich mit dem Fall – und stoßen auf Ungereimtheiten. Ist das einer der größten Justizirrtümer der deutschen Geschichte?
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Dieser Artikel enthält Themen wie Gewalt, Tod und sexueller Missbrauch, die bei manchen Menschen negative Reaktionen auslösen können. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall ist. Unterstützung für Betroffene bieten qualifizierte Beratungsangebote.
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Der Mord an einem Ehepaar und der Fall Andreas Dorsow: Das ist passiert
Klaus und Petra T. leben zurückgezogen in der südhessischen Kleinstadt Babenhausen. Ihre geistig beeinträchtigte Tochter wohnt mit ihnen in ihrem Reihenhaus. Der Ehemann und Vater betreibt dort ein kleines Immobilienbüro. Der Vater ist ein Eigenbrötler, die Mutter hat Depressionen und verlässt das Haus nicht.
Am 17. April 2009 wird der 62-Jährige erschossen. Jemand liegt auf der Lauer und schießt achtmal auf ihn, als er gerade den Müll herausträgt. Dann geht der Killer ins Haus, steigt die Treppe hoch und geht ins Schlafzimmer, wo Petra T. schläft. Er schießt der 58-Jährigen zweimal in den Kopf. Am Ende feuert der Täter zwei Schüsse auf die 37-jährige Tochter. Sie ist die Einzige, die den furchtbaren Angriff überlebt.
Es gibt keine Fingerabdrücke, keine DNA-Spuren, keine Zeug:innen – und die Tatwaffe bleibt verschwunden. Am Tatort und an den Opfern entdecken die Ermittler:innen angeschmauchte Bauschaumteilchen. Daraus schließen sie, dass der Täter einen Schalldämpfer benutzt hat, den er aus einer mit Bauschaum gefüllten Plastikflasche gebaut hat.
Etwas mehr als ein Jahr später verhaften die Behörden den Nachbarn der Familie, Andreas Darsow. Ein Alibi hat er nicht: Er ist zur Tatzeit allein daheim, seine Frau und seine Kinder sind mehrere Tage bei Verwandten zu Besuch.
Aber was soll sein Motiv sein? Laut Ermittlungen und Anklage ermordet er die drei Menschen wegen jahrelanger Lärmbelästigung: Die Reihenhäuser der beiden Familien liegen direkt nebeneinander. Die T.s haben offenbar Probleme, auch wegen Geld: Das Immobiliengeschäft läuft nicht. Vor allem nachts soll es immer wieder zu Geschrei, Türknallen und Poltern gekommen sein. Zudem geben Mutter und Tochter laut Anklage oft "fast tierische Laute" von sich. Über den Krach sollen die Nachbar:innen erbittert gestritten haben.
Die Polizei präsentiert Indizien: Wenige Wochen vor der Tat soll der Verdächtige von seinem Arbeitscomputer aus eine Webseite aufgerufen haben, die den Bau eines Schalldämpfers mit Bauschaum erklärt. Ein Kollege beobachtet ihn, wie er vor seinem Rechner etwas montiert.
Die Ermittler:innen stellen das Haus der Darsows auf den Kopf und finden Schmauchspuren unter anderem an einer alten Bundeswehrhose. Keller und Garage sind blitzsauber und wurden offenbar akribisch gereinigt. Zudem schaute sich das Ehepaar vor dem Mord mehrfach Häuser an und erzählte dabei, dass es wegen des Lärms der Nachbar:innen umziehen wolle.
Im Juli 2011 wird der damals 41-jährige Darsow in einem Indizienprozess zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Mann bestreitet die Tat bis heute. Und schon bald kommt Skepsis auf: Hat er die Tat begangen, oder läuft der wahre Mörder frei herum?
Nein, ich war nicht der Täter
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Zweifel am Urteil: Ist Andreas Darsow wirklich der Mörder?
Seit 14 Jahren sitzt Andreas Darsow in Haft – und wird wahrscheinlich erst 2031 entlassen. Ein Gericht entschied 2024, dass der Mann nach 16 Jahren im Gefängnis freikommen könnte, also 2026. Doch die Staatsanwaltschaft legt Beschwerde ein, und das Oberlandesgericht Frankfurt setzte die Mindesthaftstrafe auf 21 Jahre fest.
Aber was, wenn Darsow gar nicht der Mörder ist? Nicht nur gibt es keine eindeutigen Spuren und Augenzeugen. Da sind noch mehr Ungereimtheiten. Einige Nachbar:innen bestreiten, dass es einen Streit gegeben hat. Ein Polizei-Spürhund schlägt bei den Ermittlungen nicht an, als er dem Mann gegenübersteht. Die überlebende Tochter spricht im Krankenhaus von "den Tätern" und reagiert nicht auf das Bild des Nachbarn. Ob die Bauanleitung wirklich mit dem verwendeten Schalldämpfer in Bezug steht, ist ebenfalls unklar. Die Schmauchspuren sind winzig und können aus Darsows Zeit bei der Bundeswehr stammen.
Aus dem Gefängnis schreibt der verurteilte Mörder Leonie Bartsch und Linn Schütze an. Die Journalistinnen sind seit 2019 mit der True-Crime-Podcastreihe "Mord auf Ex" erfolgreich. Sie sprechen mit Darsow und hören sich seine Sicht der Dinge an. "Nein, ich war nicht der Täter", sagt er. Dann rollen sie die Geschichte neu auf.
Bei ihrer Recherche finden sie heraus: Hinter dem Fall steckt viel mehr, als bisher bekannt ist. Und das ist offenbar bis heute unbeachtet geblieben. Unter anderem geht es um Schwarzgeld-Betrug und Verbindungen zu den Hells Angels. Und dann ist da noch eine Notiz des Mordopfers Klaus T., die ihn mit einem Drogendeal in Verbindung bringt.
Hat die Polizei damals wirklich in alle Richtungen ermittelt? Sitzt ein Unschuldiger für den Doppelmord im Gefängnis? Ist das einer der größten Justizirrtümer der deutschen Geschichte, fragen sich Bartsch und Schütze. Was sie herausfinden, thematisieren sie zuerst im Podcast "Die Nachbarn", der für den Deutschen Podcastpreis nominiert wird.
Dann entwickeln sie daraus den Film "Unschuldig im Gefängnis – der Fall Andreas Darsow". Zu Wort kommen neben Andreas Darsow auch seine Frau, Zeug:innen, Nachbar:innen, Justiz- und Ermittlungs-Expert:innen – und ein Whistleblower der Polizei. Was sie herausfinden und wie die Geschichte weitergeht, siehst du oben im Film.
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.
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