Krieg in Europa und Wehrpflicht

Emotionaler Schlagabtausch bei "Hart aber fair": "Ich empöre mich über Krieg, nicht über Kleinigkeiten"

Aktualisiert:

von Claudia Frickel

Er diskutierte mit bei der aktuellen Folge "Hart aber fair": Norbert Röttgen, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU,  zuständig für Auswärtiges und Verteidigung.

Bild: WDR/Oliver Ziebe


Plant die Bundesregierung eine schleichende Wiedereinführung der Wehrpflicht - und ist die Erfassung aller jungen Männer ab nächstem Jahr die Brücke dorthin? CDU-Politiker Norbert Röttgen ärgerte sich bei "Hart aber fair" über Kritik an den Plänen.

Russische Kampfjets über Estland, zwei Jets im Tiefflug über polnischem Gebiet und ein Aufklärungsflieger über der Ostsee: Russland hat in den vergangenen Wochen auf "Einschüchterungspolitik" gesetzt, wie Norbert Röttgen, Verteidigungsexperte der CDU am 22. September bei "Hart aber fair" sagte.

Putin pfeife auf "Hoheitsgebiete, internationales Recht und Grenzen". Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte schon im Frühjahr angemahnt, dass Deutschland "kriegstüchtig" werden müsse. Die Bundesregierung will darum einen neuen Wehrdienst einführen - vorerst freiwillig, wie Röttgen betonte.

Dass es dabei bleibt, bezweifelten allerdings mehrere Podiumsteilnehmer. "Ich bin kein Verfechter der Wehrpflicht, aber ich glaube, dass sie kommt", erklärte der Professor für Sicherheits- und Verteidigungspolitik an der Universität der Bundeswehr München Carlo Masala. Auf die Frage von Moderator Louis Klamroth, ob es gelingen könne, mit einem freiwilligen Wehrdienst genug Rekrut:innen für die Bundeswehr zu gewinnen, sagte er: "Ich befürchte nein."

Ines Schwerdtner, Parteivorsitzende der Linken, befürchtet, "dass es in spätestens ein bis zwei Jahren heißt, das reiche nicht aus, und es dann einen Zwang gibt". Der geplante Fragebogen, den ab nächstem Jahr alle Männer ab 18 Jahren ausfüllen müssen, sei "die Brücke dazu". Es soll damit erfasst werden, wer zum Bund gehen will.

Dieser Fragebogen war Gegenstand einer hitzigen Diskussion. Helena Clear, die nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert, wunderte sich in der Sendung, warum jeder das Formular ausfüllen muss, auch wenn er sicher weiß, dass er nicht zur Bundeswehr will.

In Schweden gibt es einen ähnlichen Fragebogen, der als Vorbild für das Vorhaben dient. Dort sollen Befragte unter anderem erklären, wie gut ihre Kondition ist und wie sie mit Stress umgehen. Welche Fragen bei uns gestellt werden, ist noch offen.

"Solche Informationen gehen den Staat nichts an", schimpfte die Journalistin und Autorin Özge İnan in der Sendung: Zuvor hatte sie darauf hingewiesen, wie jung die jungen Männer seien, die das ausfüllen sollten. Sie seien "praktisch Kinder" und sich der Tragweite ihrer Aussagen und Entscheidung nicht bewusst.

Röttgen konterte mit dem Satz: "Ich empöre mich über Krieg und Brutalität und Sterben, aber nicht über Kleinigkeiten." Es gebe noch keinen Entwurf des Fragebogens. Er holte sichtlich aufgeregt aus: "Wir leben in der Zeit einer Rückkehr eines großen Krieges nach Europa und wir haben keinen Frieden mehr." Die Bundeswehr sei da, "um den Frieden zu bewahren".

Bundeswehr-Soldaten während der Basisausbildung auf einem Truppenübungsplatz.

Bild: picture alliance / epd-bild


Die neue Wehrpflicht: Was soll in Zukunft passieren?

Der mindestens sechsmonatige Wehrdienst ist aktuell freiwillig. Ab 2026 sollen jedoch alle Männer ab 18 Jahren einen Fragebogen ausfüllen, mit dem sie erfasst werden. Ab 2027 soll ein Teil von ihnen zur Musterung geladen werden. Frauen können sich auf Wunsch melden, sie werden aber nicht verpflichtet.

Das Ziel ist es, bis 2030 bis zu 100.000 Freiwillige zu rekrutieren. Derzeit gibt es rund 183.000 Soldat:innen. Dazu kommen 50.000 Reservist:innen.

Der Wehrdienst soll auch in Zukunft freiwillig bleiben - allerdings "vorerst". Eine Gesetzesänderung soll aber ermöglichen, dass die Wehrpflicht unkompliziert wieder eingeführt werden könnte, wenn eine Mehrheit des Bundestags zustimmt. Dann wären alle erfassten Männer ab dem Jahrgang 2008 wehrpflichtig.

Die Wehrpflicht wurde in der Bundesrepublik 1957 eingeführt, 1962 in der DDR. 2011 wurde sie ausgesetzt, weil die Bedrohungslage als niedrig galt.

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Bei der Luftverteidigung hat Deutschland ein Problem

Muss sich Deutschland Sorgen machen, falls russische Drohnen oder Kampfjets in den Luftraum eindringen? Wie gut sind wir gegen Angriffe aus der Luft abgesichert? Es kommt darauf an, um welche Arten von Angriffen es sich handelt, erklärte Sicherheitsexperte Carlo Masala. "Würden auf Deutschland 250 Drohnen zufliegen, hätten wir ein Problem." Das Thema Drohnen und Drohnenabwehr sei jahrzehntelang vernachlässigt worden.

Dass es beim Schutz vor Drohnen Nachholbedarf gibt, räumte auch Nicole Schilling ein, die Stellvertreterin des Generalinspekteurs der Bundeswehr. "Die Luftverteidigung muss bei NATO und Bundeswehr massiv gestärkt werden." Doch bei der Drohnenabwehr sei bei der Truppe "viel gelungen". Noch in diesem Jahr würden bewaffnete Kleindrohnen und Drohnenabwehrmaßnahmen eingeführt, versprach sie.

Das Schlusswort in der Sendung hatte die Jura-Studentin Annabell Günther. Sie hatte sich nach dem Abitur für die Bundeswehr verpflichtet und ist jetzt Reservistin. Sie sagte: "Ich kann durchaus verstehen, wenn jemand keinen Dienst an der Waffe leisten möchte." Aber in ihren Augen lohne es sich, "unsere Werte zu schützen und zu verteidigen und letztlich aus diesem Land zu dienen."

"Hart aber fair": Polit-Talk mit echtem Schlagabtausch

Ein aktuelles und umstrittenes Thema aus Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft steht immer im Mittelpunkt von "Hart aber fair". 75 Minuten lang diskutiert Louis Klamroth live mit seinen Gästen. Einspieler erklären, worum es geht, und liefern Hintergrund-Informationen. Zu Wort kommen in der Polit-Talkshow immer auch Bürger:innen oder Betroffene.

Dabei kommt es nicht selten zwischen den Gästen zu hitzigen Diskussionen und Wortgefechten. Überzeuge dich selbst. Bei uns kannst du live zusehen, montags um 21 Uhr.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.

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