Sonntagsritual

Faszination "Tatort": Warum ist die Krimiserie nach 54 Jahren immer noch so erfolgreich?

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von Katharina von Freyburg

"Tatort" ist und bleibt ein Klassiker unter den Krimis. Doch warum ist sie für viele so faszinierend?

Bild: IMAGO/Rüdiger Wölk


Sonntag, 20:15 Uhr: Jetzt richten sich in Fan-Kneipen alle Blicke auf den XL-Fernseher. Familien rücken auf der Couch zusammen, Paare und Singles machen es sich mit einem Kaltgetränk gemütlich. Aber wieso fasziniert uns der "Tatort" eigentlich so?

Darauf können wir uns verlassen

Jede "Tatort"-Folge ist wie ein kollektives Kräftesammeln, bevor die neue Woche startet. Seit über 50 Jahren begeistert die Krimi-Serie sonntags Millionen. Aber was genau ist die Erfolgsformel?

Neben dem Gemeinschaftsgefühl beim Gucken und der Entspannung reizt uns natürlich auch das Mitfiebern: Wer hat gemordet - und warum?

Doch nicht nur die Neugier reizt, auch Verlässlichkeit zieht uns an: Gerade in schnelllebigen und unbeständigen Zeiten schätzen wir Wiederholung und Berechenbarkeit. Beim "Tatort" bleibt das Grundgerüst oft gleich, dennoch bleibt es spannend: In jeder Folge sorgen wechselnde Autor:innen und Regisseur:innen für neue Handschriften.

"Tatort": Immer am Puls der Zeit

Es gibt kaum eine Serie, die sich bei gleichbleibendem Muster über 50 Jahre lang immer wieder neu erfunden hat. Die Protagonist:innen, das Setting, die Mordmotive und sogar die Sprache entwickeln sich ständig weiter. Dabei spiegeln all diese Elemente aktuelle Entwicklungen wider.

Der "Tatort" als Sozialstudie

Die Drehbuchautorin Dorothee Schön erklärt in einem "Spiegel"-Interview, dass der "Tatort" den Zeitgeist sogar auf zwei Ebenen abbilde: "Auf einer äußeren Ebene, durch Kleidung, durch technische Errungenschaften, durch neue Ermittlungsmethoden." Laut der Autorin zeigt der "Tatort" zudem die aktuellen Muster und Konflikte der Gesellschaft auf: "Wie leben wir? Was für Familienmodelle haben wir? Was macht uns Angst?"


Statt Geschichtsbuch: Reise in die "Tatort"-Vergangenheit

So waren etwa die Folgen in den 70er-Jahren geprägt von gesellschaftlichen Umbrüchen wie der Studentenbewegung und dem RAF-Terror. Außerdem spielten Bundesliga- und Giftmüll-Skandale bei den Mordfällen eine zentrale Rolle, wie in der Episode "Tatort: Gift" von 1974, in der Kinder eine Leiche auf einer Mülldeponie entdecken.

Bild: picture-alliance/ dpa


Raub und Erpressung werden durch Zeitgeist-Verbrechen abgelöst

In den 80er-Jahren ging es häufig um Umweltverschmutzung, das Neonazi-Milieu und Wirtschafts-Kriminalität. In der Folge "Tatort: Schwarzes Wochenende" von 1986 sind die Duisburger Ermittler Scheinfirmen und einem künstlich herbeigeführten Bankrott auf der Spur.

Bild: picture alliance/United Archives


In den 90er-Jahren fanden immer wieder Anspielungen auf die Folgen der Globalisierung und der Wiedervereinigung Deutschlands statt. Wie etwa in "Tatort: Unter Brüdern" von 1990. Das Thema: Kunstwerke, die die Stasi versteckt hat.

Bild: picture alliance/United Archives


Gesellschaftliche Relevanz gewinnt

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 folgten immer wieder Andeutungen zu 9/11. Außerdem ist die zunehmende Digitalisierung Dauerthema. In "Tatort: Architektur eines Todes" von 2009 wird etwa eine Architektin mit anonymen E-Mails eingeschüchtert. Die Ermittlungen konzentrieren sich dabei auf ein Frauen-Online-Netzwerk.

In den nächsten Jahren waren die leitenden Motive soziale Ungleichheit und Rechts-Populismus, wie in "Tatort: Freies Land" von 2018. Auch die Flüchtlingskrise von 2015 wurde in der Episode "Tatort: Im gelobten Land" (2016) thematisiert.

Der "Tatort"-Erfinder Gunther Witte hob diesem Zusammenhang mal besonders die Filme aus Köln und München hervor. Sie seien für ihn am nächsten an der Grundidee der Reihe. Sie schafften es am besten, einen Mordfall aufzuklären und gleichzeitig gesellschaftliche Nischen zu beleuchten.

Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress


Zeit für ein diverses Personal-Update

Der gesellschaftliche Wandel ist auch im Casting der Figuren zu sehen. Zu den männlichen Kommissaren stoßen seit 1978 Ermittlerinnen wie Marianne Buchmüller (Nicole Heesters), Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) dazu. Auch Menschen mit Migrationshintergrund und queere Kriminalbeamte gehen auf Streife. Geschlechter-Stereotype werden hinterfragt und aufgebrochen.


In dieser Serie erwarten dich auch spannende Kriminalfälle


Das Internet ist der neue Hotspot für Verbrechen

Unser Alltag wird immer digitaler und parallel dazu nimmt natürlich die Cyberkriminalität zu. Der "Tatort" greift auch diese Entwicklung auf und zeigt immer mehr Fälle, bei denen Laptops und Smartphones zu zentralen Schauplätzen der Verbrechen werden. Im "Tatort: KI" von 2018 hilft etwa eine Künstliche Intelligenz dem Münchner Duo dabei, den Täter zu finden. Die Episode "Tatort: Kein Mitleid, keine Gnade" (2020) setzt sich dagegen mit dem Einfluss von sozialen Medien auf die psychische Gesundheit auseinander. Es geht um Cybermobbing und Homophobie. In dem Krimi-Film "Tatort: Tschill out" (2020) rückt das Darknet in den Fokus. Nick Tschiller (Til Schweiger) und Yalcin Gümer (Fahri Yardim) verfolgen auf der illegalen Plattform Drogenhandel und Kinderpornographie.

Aber auch die schillernde Welt der Influencer:innen wird unter die Lupe genommen. Im Münsteraner-"Tatort: MagicMom" (2023) wird eine Momfluencerin tot in ihrer Luxusvilla aufgefunden. Kommissar Frank Thiel und Professor Karl Friedrich Boerne stoßen bei den Untersuchungen schnell auf verdächtige Hass-Kommentare der Follower:innen.

Einen Teaser zu der Folge hat der Instagram-Account @tatort veröffentlicht:

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Der Blick hinter die Kulissen des Verbrechens

Auch die beliebte "Tatort"-Darstellerin Adele Neuhauser alias Bibi Fellner äußert sich in einem Interview mit der Boulevard-Zeitung "tz" zu den aktuellen Motiven in der Krimi-Reihe:

Der Rechtsruck und die manchmal nicht fassbare Unzufriedenheit sind Themen, die mich nicht kaltlassen.

Adele Neuhauser

Sie begrüßt, dass die Drehbuchautor:innen aktuelle Problem-Milieus aufzeigen, die mehr Beachtung finden müssen. Dazu zählen Korruption, Massentierhaltung, Gewalt gegen Frauen und Mafia-Clans in Großstädten. In der Episode "Tatort: Azra" (2023) hat das österreichische Ermittler-Duo zum Beispiel einen georgischen Clan im Visier.

Die Fälle bilden also immer auch unser Zeitgeschehen ab. Wir finden in jeder Episode aktuelle Touch Points mit unserem Alltag und werden gleichzeitig hinter die Bühne (ins Backstage des Verbrechens) geführt. Gleichzeitig werden Zuschauer:innen aufgeklärt und für neue Betrugsmaschen sensibilisiert.


Verkürze dir die Wartezeit bis zum nächsten "Tatort":


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Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.

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