"Under attack – wer Deutschland bedroht und wie wir uns wehren"

"Wir haben keine Angst": Finnlands Vorbereitung auf einen möglichen Krieg

Aktualisiert:

von Claudia Frickel

Öffentliche Schießplätze überall, hunderttausende Reservist:innen und Bunker für alle Zivilist:innen im Land – die in Friedenszeiten als Sportanlagen dienen: Finnland ist für einen möglichen Angriff Russlands gewappnet. Wie pragmatisch das Land auf die Gefahr reagiert, zeigt Linda Zervakis in ihrer Reportage "Under Attack".


Du willst noch mehr Folgen von "LINDA ZERVAKIS." sehen?


Finnland hat Bunker für alle Bürger:innen

Mehr als 1.330 Kilometer lang ist die Grenze zwischen Finnland und Russland. Die Bedrohung ist für das nordische Land ganz nah: Wladimir Putin hat schon Truppen und militärisches Gerät in die Nähe des Nachbarlands verlegt. Doch die Drohgebärden könnten eines Tages in einen Angriff umschlagen.

Auf diesen Ernstfall ist das Land bestens vorbereitet. 4,8 Millionen Plätze in unterirdischen Schutzräumen stehen zur Verfügung – und damit für alle Zivilist:innen. Das Land hat zwar 5,5 Millionen Einwohner:innen, aber die anderen sollen bei einem Angriff die Verteidigung übernehmen.

5.500 tief in den Granitboden gegrabene Schutzräume gibt es allein in der Hauptstadt Helsinki. Besonders clever: Die Anlagen sind zwar für Kriegs- und Katastrophenfälle konzipiert. Aber sie werden auch im Alltag genutzt und dienen als Sporthallen, Schwimmbäder, Go-Kart-Strecken oder Spielplätze. Dieses System ist weltweit einzigartig.

Wie ein solcher Bunker aussieht, hat sich Linda Zervakis für ihre Reportage "Under attack – wer Deutschland bedroht und wie wir uns wehren" angesehen. Dafür muss die Reporterin 20 Meter tief ins Felsgestein hinuntersteigen: "Das ist spannend, aber auch ein bisschen gruselig", stellt sie fest.

Zivilschutz-Experte Tomi Rask zeigt ihr einen der größten Schutzräume in Helsinki, der für 6.000 Menschen ausgelegt ist. "Das ist der sicherste Ort, an dem man in Kriegszeiten sein kann", sagt er. Gleichzeitig handelt es sich um einen Fußballplatz, den alle Bürger:innen rund um die Uhr benutzen dürfen.

Laut Gesetz muss die Freizeithalle im Notfall innerhalb von 72 Stunden in eine Zivilschutzanlage umgebaut werden können. "Im Ernstfall geht es schneller", verspricht Rask. Die Ausstattung ist minimalistisch, aber der Experte sagt: "Das ist alles kein Spaß und kein Hotel".

Linda Zervakis wundert sich. Wie können Finn:innen das glücklichste Volk der Erde sein, obwohl sie "ständig über Krieg und Krisen nachdenken"? Auch 2025 belegte das Land zum achten Mal in Folge Platz 1 des "World Happiness Report". Der Fachmann hat darauf eine Antwort:

Wir müssen nicht ständig über den Krieg nachdenken und keine Angst haben, weil wir vorbereitet sind.

Zivilschutz-Experte Tomi Rask

Wie es im Bunker aussieht, warum es dort nur einfache Toiletten und keine Küchen gibt und wie viele Menschen in Deutschland in Schutzräumen Platz finden würden, siehst du in der Reportage.

Das könnte dich auch interessieren:

Reservisten der Bundeswehr: Diese Aufgaben würden sie im Ernstfall übernehmen

Marode Technik und Personalmangel: Woran hakt es bei der Bundeswehr?

Zoff bei "Hart aber fair": Ist es Deutschland wert, dafür sein Leben zu lassen?

"Galileo" bei der Truppe: 60.000 Soldat:innen fehlen - auf diese Weise kämpft die Bundeswehr um Nachwuchs.

Jenke, Zervakis und Mischke in der Primetime: Diese Reportagen plant Joyn im Herbst.

Warum und wie sich Finnland schon lange für die Bedrohung wappnet

Im Winter 1939 greift die Sowjetunion das Nachbarland Finnland an, ohne Kriegserklärung. Doch 300.000 finnische Soldaten schaffen es, die russischen Truppen zu schlagen – obwohl die eine Stärke von 1 Million Mann hat. Am Ende verliert Finnland den Krieg allerdings.

Seitdem gilt im Land der Grundsatz: Es muss sich immer selbst verteidigen können. Darum ist auch die flächendeckende Vorbereitung auf einen Angriff so wichtig, nicht nur seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine Anfang 2022. Ein Jahr später tritt Finnland der NATO bei.

Im Land gilt aber schon seit 1919 die allgemeine Wehrpflicht für Männer ab 18 Jahren. Frauen können seit 1995 freiwillig mitmachen. Normalerweise umfasst die Armee 24.000 Soldat:innen. Im Verteidigungsfall wächst die Zahl durch Reservist:innen aber innerhalb weniger Tage auf 280.000 Personen an. Insgesamt gibt es im Land knapp 900.000 Reservist:innen.

Zum Vergleich: Deutschland hat derzeit bei 83 Millionen Einwohner:innen 182.000 Soldat:innen und 55.000 Reservist:innen. Finnland verfügt demnach über 4,4 Soldat:innen pro 1.000 Einwohner:innen, Deutschland über 2,2 – also halb so viele. Bei den Reservist:innen ist der Unterschied noch größer: Finnland hat fast einen pro sechs Bürger:innen, Deutschland einen pro 1.700 Einwohner:innen.


Grenzschutz, Schießplätze: Was Finnland noch für seine Sicherheit tut

Im Herbst 2023 hat Finnland seine Grenze zu Russland dichtgemacht – zum ersten Mal in Friedenszeiten. 400 Kilometer eines neuen Zauns sollen außerdem mehr Sicherheit bieten.

Grenzschützer Topi Räsänen bewacht einen der Posten. Auch er zeigt die typische finnische Mentalität: "Wir sind auf alles gut vorbereitet, warum sollten wir Angst haben?", fragt er Linda Zervakis. Das Land habe das Wissen und die richtige Ausrüstung, um sich zu verteidigen. Die Reporterin fühlt sich so nah an der russischen Grenze dagegen nicht so wohl.

Überall im Land gibt es darüber hinaus öffentliche Schießplätze, auf denen sich Reservist:innen treffen können. "Das Training dort ist eine eigenartige Mischung aus Kriegsvorbereitung und ganz normalem Schießsport" stellt Zervakis fest.

Wie sich Sicherheitsexperten im Land für weitere Provokationen wappnen, was du in Deutschland tun kannst, um für mögliche Krisen vorzusorgen, und warum für Linda Zervakis die Finn:innen das "coolste Volk" sind das ihr je begegnet ist, siehst du in der Reportage.


Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.

Mehr entdecken