Sehnsucht als Geschäftsmodell
Frauen "kaufen" Männer: Thilo Mischke enthüllt in "Uncovered" das Phänomen Host-Clubs
Aktualisiert:
von Lars-Ole GrapNeonlichter, Champagner, perfekt gestylte Männer: In Tokios Host-Clubs ist die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit Geschäftsmodell. Hier bezahlen Frauen dafür, im Mittelpunkt inszenierter Zuneigung zu sein. Journalist Thilo Mischke blickt in der neuen Folge "Uncovered. Gekaufte Liebe - die geheime Welt der Host-Clubs in Tokio" hinter Japans Unterhaltungskulisse.
Gekaufte Nähe: Das System hinter Japans Host-Clubs
Das Prinzip hinter Japans Host-Clubs ist einfach: Männer zwischen 20 und 30 Jahren kümmern sich um ihre weiblichen Gäste, schenken ihnen Komplimente, Aufmerksamkeit und das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Je teurer die Drinks, desto größer der Umsatz - und damit das Prestige des Hosts. Doch hinter den glitzernden Fassaden steckt harte Arbeit. Wer erfolgreich sein will, braucht Charme, Ausdauer und Selbstkontrolle. Der Alkohol fließt in Strömen, aber wer zu betrunken ist, verliert schnell seine Kundschaft. Viele Hosts greifen deshalb zu drastischen Maßnahmen, um dem ständigen Rausch zu entkommen - Erbrechen auf der Toilette gehört zum Berufsalltag, um arbeitsfähig zu bleiben. Alkoholabhängigkeit und Erschöpfung sind die Schattenseiten eines Berufs, der von Dauerpräsenz lebt.
Der Alltag der Hosts ist dabei immer ein Spagat zwischen Show, Selbstinszenierung und emotionalem Drahtseilakt. Intimität ist im Club offiziell verboten, doch einige Kundinnen treffen ihre Lieblings-Hosts auch privat. Nicht nur aus sexuellem Interesse, sondern aus dem Wunsch nach Nähe. Viele dieser Beziehungen sind Pseudo-Beziehungen, geprägt von gegenseitiger Abhängigkeit. Für die Frauen bedeutet der Club oft einen Rückzugsort von dem gesellschaftlichen Druck einer stark patriarchalischen Gesellschaft, in der sie wenig Raum für ihre Bedürfnisse finden. Hier können sie bestimmen, flirten, verführen und bezahlen - eine symbolische Umkehr traditioneller Machtverhältnisse.
Doch diese Macht bleibt letztendlich nur Illusion. Denn es sind die Frauen, die zahlen - emotional wie finanziell. Hohe Schulden gehören längst zur Realität vieler Stammkundinnen. Einige Host-Clubs bieten sogar interne Kreditmodelle an, mit denen Frauen anschreiben dürfen. Gerät die Rechnung außer Kontrolle, übernehmen Kredithaie - mit fatalen Folgen. Immer wieder geraten Frauen dadurch in Prostitution oder arbeiten in Sex- und Hostess-Clubs, um ihre Schulden zu begleichen. Das System aus Abhängigkeit und finanzieller Erpressung ist gut verschleiert, aber effektiv. Wer einmal hineingerät, kommt schwer wieder heraus.
Unterhaltung, Abhängigkeit, Selbstinszenierung: Das fragile System der Host-Clubs
Dabei sind nicht alle Clubs gleich. Strengere Polizeikontrollen und gesetzliche Änderungen haben in den letzten Jahren zwar zu mehr Transparenz geführt, doch viele Probleme bleiben. Die Industrie operiert zwischen Unterhaltung, emotionaler Dienstleistung und moralischer Grauzone - und nutzt eine tiefliegende gesellschaftliche Sehnsucht. Viele der weiblichen Besucherinnen kommen aus dem "Mizu-shōbai" - dem Nachtleben Japans, in dem sie mit Charme, Nähe und oft ohne festes Gehalt ihren Lebensunterhalt verdienen. Nach Feierabend suchen sie in Host-Clubs das, was ihnen in ihrem eigenen Job verwehrt bleibt: Zuwendung und das Gefühl, begehrt zu sein. Für sie ist der Club ein Ventil, ein Ort der Umkehrung der Rollenbilder, wenn auch nur für ein paar Stunden.
Für die Hosts ist der Beruf Chance und Risiko zugleich. Einige schaffen es, mit Charisma und Geschäftssinn zu Reichtum, andere verprassen ihr Geld oder verlieren alles, wenn sie älter werden. Viele sind Studenten oder Quereinsteiger, die sich mit dem schnellen Geld ein Studium oder ein neues Leben finanzieren wollen. Doch je länger sie bleiben, desto größer wird der Preis: Schlafmangel, Alkoholprobleme und emotionale Erschöpfung gehören zum Alltag. Denn hinter jeder gespielten Zuneigung steht ein klarer Leistungsdruck - das Geschäft mit Gefühlen muss funktionieren.
In "Uncovered. Gekaufte Liebe - die geheime Welt der Host-Clubs in Tokio" nimmt dich Thilo Mischke am 3. November um 22:20 Uhr auf ProSieben und Joyn mit in die schillernde Welt aus teuren Träumen, inszenierter Liebe und vermeintlich grenzenloser Hingabe.
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Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.
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