"Uncovered" mit Thilo Mischke

Einsamkeit in Japan: Gründe, Folgen und gesellschaftliche Auswirkungen

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von Claudia Frickel

Einsamkeit ist in Japan weit verbreitet: Fast 40 Prozent fühlen sich ganz allein. Ein Gesetz und ein Ministerium gegen Einsamkeit sollen Abhilfe schaffen. Aber manche suchen andere Lösungen, um weniger allein zu sein, wie Thilo Mischke in "Uncovered" zeigt – in Host-Clubs.

Warum sind Japaner:innen so einsam?

Über 90 Prozent der 124 Millionen Bürger:innen Japans leben in Städten. In riesigen Metropolen wie Tokio mit zehn Millionen Einwohner:innen wimmelt es nur so von Menschen. Und trotzdem fühlen sich viele einsam – 40 Prozent der über 16-Jährigen betrifft das, so eine Regierungsumfrage von 2022.

Aber woran liegt das? Es gibt viele Gründe – einer davon hängt mit kulturellen Normen zusammen. In Japan gilt es als unhöflich, Fremde direkt anzusprechen. Diese gesellschaftliche Zurückhaltung macht spontane Begegnungen eher selten. Außerdem arbeiten viele Angestellte sehr lange, was ihnen kaum Zeit lässt, soziale Beziehungen zu pflegen. Überstunden werden oft als selbstverständlich angesehen.

Darüber hinaus ist es in dem Land ganz normal, allein zu leben: In 38 Prozent der Haushalte wohnt nur eine Person. In Großstädten wie Tokio sind es sogar über 50 Prozent. Dadurch ist es schwerer, Kontakt zu anderen zu haben.

Durch die immer noch vorhandenen traditionellen Rollenbilder sind viele Frauen als Hausfrauen tätig, nur knapp ein Drittel kehrt nach dem ersten Kind in den Beruf zurück. Wenn der Mann stirbt, sind sie häufig isoliert.

Japan hat aber auch eine der ältesten Bevölkerungen weltweit. Fast ein Drittel der Bürger:innen ist über 65 Jahre alt. Das ist Rekord im internationalen Vergleich. Zum Vergleich: In Deutschland sind es knapp 24 Prozent. Viele der japanischen Senior:innen wohnen in Ein-Personen-Haushalten.

Einsamkeit ist in Japan ein so großes gesellschaftliches Problem, dass sich seit 2021 sogar eine eigens dafür geschaffene Regierungsorganisation damit befasst – das Ministerium für Einsamkeit. Auf seine Initiative hin tritt 2023 ein Gesetz in Kraft, das die Regierung verpflichtet, Einsamkeit und Isolation aktiv zu bekämpfen. Seitdem gibt es zum Beispiel spezielle Chatbots, mehr Telefonseelsorge und Gesprächsgruppen vor Ort.

Auch in der Sprache zeigt sich das Phänomen, dass so viele Menschen vereinsamt sind. Im Japanischen gibt es zwei Begriffe, die das beschreiben:

  • Hikikomori werden Menschen genannt, die sich mindestens sechs Monate lang vollständig aus der Gesellschaft zurückziehen – manche sogar Jahre oder Jahrzehnte. Sie schließen sich meist freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer ein und reduzieren den Kontakt zu anderen auf ein Minimum. Behörden schätzen, dass rund 1 Million Menschen Hikikomori sind, die meisten davon Männer. Auch das Phänomen selbst heißt Hikikomori.

  • Kodokushi heißt übersetzt "einsamer Tod". Gemeint ist, dass Menschen allein sterben und erst längere Zeit später gefunden werden. Oft vergehen Monate oder Jahre, und die Person wird nicht vermisst. Allein im Großraum Tokio sollen jedes Jahr 3.000 Einwohner:innen in Einsamkeit versterben.

Das Thema Einsamkeit spielt auch eine Rolle in Thilo Mischkes "Uncovered"-Reportage über Host-Clubs in Tokio., die du oben kostenlos streamen kannst.

In der 10-Millionen-Metropole leben viele Menschen allein.

Bild: IMAGO/Zoonar



Besuch im Host-Club als Mittel gegen die Einsamkeit

Hunderte Host-Clubs in Japan warten auf zahlende Kundinnen. Das Prinzip dahinter: Frauen zahlen dafür, dass sich ein Mann den ganzen Abend um sie kümmert. Er macht ihr Komplimente, schenkt ihr Aufmerksamkeit und unterhält sich mit ihr. Auch nach dem Club-Besuch können die beiden per Messenger in Kontakt stehen. Um Sex geht es nicht unbedingt.

Dass das System Host-Club so gut funktioniert, könnte daran liegen, dass die japanische Gesellschaft ein Problem mit Einsamkeit hat.

Journalist Thilo Mischke

Das ist eine "perfekt inszenierte Traumwelt", stellt Reporter Thilo Mischke fest – und gleichzeitig eine "harmlose und ungefährliche Version eines ersten Dates". Frauen haben keinen Druck, sich zu beweisen oder dem Mann zu gefallen.

Der Journalist zeigt in "Uncovered. Gekaufte Liebe - die geheime Welt der Host-Clubs in Tokio", warum häufig Einsamkeit Frauen in diese Etablissements treibt - und was sie dort finden. Aber du siehst auch die Schattenseiten, denn in den Host-Clubs ist längst nicht alles so ideal, wie es auf den ersten Blick scheint.


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Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.

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