Elektroschocks und Waterboarding
Der deutsche Martin Lautwein saß im syrischen Folterknast - warum er nun dorthin zurückkehrt
Aktualisiert:
von Julia WolferThilo Mischkes Freund Martin Lautwein (l.) überlebte wochenlang in syrischer Gefangenschaft.
Bild: Joyn
Er wurde gefoltert, erniedrigt - und überlebte. Der Deutsche Martin Lautwein wurde 48 Tage in einem berüchtigten syrischen Foltergefängnis festgehalten. Für die Reportage "Spurlos verschwunden – der Deutsche aus dem Folterknast" kehrt er mit Thilo Mischke an den Ort zurück, an dem er die Hölle durchlebte.
Als Martin Lautwein 2018 nach Syrien reist, will er anpacken: Der gelernte Gerüstbauer aus Deutschland arbeitet als Techniker für eine Hilfsorganisation, die im Norden des Landes eine Klinik aufbauen will. Doch was als humanitäre Mission beginnt, endet in einem Albtraum.
Martin landet im berüchtigten Geheimdienst-Gefängnis Palestine Branch in Damaskus, wo das Assad-Regime jahrzehntelang Menschen verhörte und folterte. Für die Reportage "Spurlos verschwunden – der Deutsche aus dem Folterknast" kehrt er dorthin zurück - mit einem Ziel.
Thilo Mischke und Martin Lautwein exklusiv im Frühstücksfernsehen
In den Fängen des Assad-Regimes
Am 22. Juni 2018, so erinnert sich Martin Lautwein in der Reportage "Uncovered: Der Deutsche aus dem Folterknast", beginnt der Tag zunächst wie jeder andere. Gemeinsam mit einem Kollegen soll er für den Abend noch auf einem Basar einkaufen. Dort wird Martin von einem Mann angesprochen. Wenige Minuten später wird ihm klar: Er ist in die Hände des Assad-Regimes geraten.
Sie beschuldigen ihn der Spionage, der Unterstützung von Oppositionellen und Terroristen. "Ich hab' den Spionage-Vorwurf irgendwann einfach gestanden", erzählt Martin in "Uncovered". "Das haben sie mir natürlich auch nicht geglaubt - die wussten, dass ich kein Spion bin." Vielmehr sei es den Verhörern darum gegangen herauszufinden, wo sich der Rest seiner Gruppe befindet.
Das ist halt die Frage: Willst du ein Verräter sein oder nicht?
Doch Martin Lautwein hält dicht.
Palestine Branch – die Hölle auf Erden
Nach einem Verhör wird Martin in einem Militärflugzeug nach Damaskus gebracht. Das Ziel: Far’ Falastin – die Palestine Branch, eines der gefürchtetsten Folterzentren des syrischen Geheimdienstes. Warum er verhaftet wurde, weiß Martin bis heute nicht.
Willkürliche Verhaftungen waren zu Zeiten des Assad-Regimes Alltag - ein Mittel, um das Volk zu unterdrücken. Schätzungen zufolge sind in den Gefängnissen des Regimes bis zu 300.000 Menschen verschwunden. Es konnte jeden treffen – auch Ausländer wie Martin.
48 Tage in der Hölle
In den folgenden 48 Tagen muss Martin um sein Leben bangen: Er ist der systematischen Gewalt des syrischen Sicherheitsapparats ausgeliefert. Immer wieder wird er verhört und gefoltert. Elektroschocks, Water Boarding und Schläge werden zum grausamen Alltag.
Ich habe gedacht, ich komme nicht mehr lebend raus aus diesem Laden.
Bei den Verhören sind Martins Augen verbunden. Nur ein einziges Mal sieht er seinen Verhörer – sein Bild hat sich in seine Netzhaut eingebrannt: Ein Mann um die 50, er trägt Schnurrbart und eine rote Baseball-Cap mit Ferrari-Logo, spricht sehr gut Englisch – ein hochgebildeter Mann, glaubt Martin.
Seinen Peiniger will er nun mithilfe von Thilo Mischke finden – und ihn auf Augenhöhe mit seinen Taten konfrontieren. Die folgende Reise ist sein Weg, sich dem Trauma zu stellen.
Martins Rückkehr nach Syrien
Jahre nach seiner Gefangenschaft steht Martin Lautwein im Dezember 2024 erneut an der Grenze zu Syrien. Sie zu überqueren ist zu diesem Zeitpunkt lebensgefährlich. Doch nur eine Woche später ändert sich alles: Nach 54 Jahren wird das Regime der Familie Assad gestürzt.
Niemand weiß zu diesem Zeitpunkt, wie es mit Syrien weitergeht - doch für Martin und Thilo öffnet sich ein kleines Zeitfenster. Sie reisen nach Damaskus – auf der Suche nach Martins Peiniger.
Zurück in der Zelle
Als Martin und Thilo schließlich das Foltergefängnis Palestine Branch betreten, verwandeln sich Erinnerungen wieder in Realität. "Jetzt komm ich hier hin und […] mir wird eigentlich klar, was für verdammte Bastarde das sind. Jeder, der da mitgemacht hat", sagt Martin bitter.
In den Zimmern und Fluren des Beton-Komplexes, in dem bis vor wenigen Tagen noch verhört und gefoltert wurde, liegen Dokumente und Fotos verstreut, viele Akten wurden verbrannt - Zeichen der überstürzten Flucht des Regimes.
Dann steht Martin plötzlich vor der Zelle, in der er wochenlang gefangen war. Mit einem Stück Kalkstein hatte er damals die Tage seiner Haft auf die Tür seiner kargen Zelle geschrieben - jetzt streicht er mit den Fingern über das Metall. "Hier war ich fünf Wochen drin", sagt er. Dann übermannen ihn die Emotionen.
Gerechtigkeit statt Rache
Martin Lautwein war nach Syrien gekommen, um seinen Peiniger zu finden - doch mit jedem Menschen, den er hier spricht, verändert sich sein Ziel. Es wächst eine Verbundenheit mit dem Land und seinen Schicksalen. Jetzt geht es um Gerechtigkeit – und Verantwortung für all jene, die in den Kellern des Geheimdienstes verschwanden.
Martin Lautwein hat als erster Deutscher Strafanzeige gegen den syrischen Geheimdienst gestellt. Seine Aussage ist Teil eines möglichen deutschen Ermittlungs-Verfahrens gegen Assads Schergen. In einem Raum finden Martin und Thilo schließlich eine Liste mit Namen von Offizieren der Palestine Branch - ein wichtiges Beweisstück.
Mehr über Martin Lautwein emotionale Reise in eine düstere Vergangenheit und wie er es aus Palastine Branch herausgeschafft hat, erfährst du in der Reportage "Spurlos verschwunden – der Deutsche aus dem Folterknast" auf Joyn.
Noch mehr "Uncovered"-Reportagen mit Thilo Mischke
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.
Mehr entdecken
"Uncovered"
Thilo Mischke: Der ProSieben-Journalist im Porträt

"Der Tod wäre besser"
Thilo Mischke besucht Syriens Orte des Grauens

Zeugnisse des Schreckens
"Uncovered": Thilo Mischke redet mit Deutschen aus syrischem Foltergefängnis

"Uncovered" mit Thilo Mischke
Japan: Warum sich viele Menschen ungeliebt fühlen und alternative Liebe suchen

"Uncovered" mit Thilo Mischke
Einsamkeit in Japan: Gründe, Folgen und gesellschaftliche Auswirkungen

Sehnsucht als Geschäftsmodell
Frauen "kaufen" Männer: Thilo Mischke enthüllt in "Uncovered" das Phänomen Host-Clubs
Von Drogen bis Mord
Für seine neue Doku hat Thilo Mischke weltweit Gangsterinnen getroffen - alle Infos findest du hier!
Thilo Mischke über seine Grenzerfahrung
Streaming-Tipp: "UNCOVERED. Rekord - verdächtig? Das Geschäft mit dem Marathon"
Jetzt auf Joyn anschauen!
"UNCOVERED. Bye bye Bullerbü - Wie in Schweden die Bandengewalt eskaliert" mit Thilo Mischke



